Antioxidantien werden immer noch ziemlich pauschal als gesund propagiert, weil sie freie Radikale abfangen. Glaubt man der Propaganda, sollen sie vor Krebs, Herzerkrankungen und vielem mehr schützen und uns zudem als Anti-Aging-Mittel vor dem Älterwerden bewahren.
Seit einigen Jahren mehren sich allerdings die Hinweise darauf, dass die Situation nicht so einfach in ein Schwarz-weiss-Schema eingeordnet werden kann: Hier die guten Antioxidantien und dort die bösen freien Radikale.
Auf diesen Punkt kommt auch der Arzneipflanzenforscher Prof. Dr. Kurt Hostettmann (Universität Genf) in einem Interview zu sprechen:
„Noch etwas anderes: man spricht so viel von Antioxidantien und dass man sie in grossen Mengen einnehmen muss, um Krebs zu verhindern oder die Alterung zu stoppen. Jedoch gibt es aktuelle Arbeiten, die darauf hinweisen könnten, dass eine übermässige Einnahme von Antioxidantien, einen pro-oxidierenden Effekt haben könnten und dadurch die Alterung und die Entwicklung von Krebs fördern könnten. Im amerikanischen Magazin „ New Scientist“ vom 19.März 2013, hat James Watson, der den Nobelpreis der Medizin für die Entdeckung der DNA-Struktur erhalten hat, folgende Frage gestellt: Fördern Antioxidantien Krebs? Darüber sollte man nachdenken…!“
Quelle:
http://de.pharmapro.ch/N21580/interview-mit-prof-dr-kurt-hostettmann.html
Kommentar & Ergänzung:
Prof. Hostettmann spricht hier einen wichtigen Punkt an und die Aussage von James Watson im „New Scientist“ hat schon für einigen Gesprächsstoff gesorgt.
Bekannte und oft propagierte Antioxidantien sind beispielsweise:
– Vitamin C, Vitamin E;
– Polyphenole, zum Beispiel Flavonoide wie Anthocyane (blaue Farbstoffe aus Heidelbeeren, Schwarzen Johannisbeere, Brombeeren etc.), Epigallocatechingallat (EGCG) aus Grüntee, Resveratrol aus Rotwein;
– Carotinoide wie Lycopin (aus Tomaten), Betacarotin (aus Karotten, Aprikosen u. a.), Lutein (in dunklen Blatttgemüsen wie Grünkohl, Spinat).
Dass solche Antioxidantien im Rahmen einer vielfältigen, abwechslungsreichen Ernährung wohl gesund sind, ist eine plausible Annahme. Bei den Vitaminen brauchen wir eine gewisse Zufuhr von aussen, weil wir sie nicht selber herstellen können. Bei den Antioxidantien ohne Vitamincharakter ist nicht der einzelne Stoff notwendig. Sie können sich wohl in ihrer antioxidativen Funktion weitgehend ersetzen.
Heikler wird die Sache, wenn Antioxidantien isoliert in höheren Dosierungen als Nahrungsergänzungsmittel konsumiert werden.
In den letzten Jahren haben sich die Hinweise zunehmend verdichtet, dass in solchen Fällen nicht nur der Nutzen der Antioxidantien in Frage steht, sondern möglichweise gar mit negativen Konsequenzen für die Gesundheit zu rechnen ist.
Siehe dazu beispielsweise:
Experimente stärken Zweifel am Nutzen von Antioxidantien
Schwächen Antioxidantien die Muskelfunktion
Selen kann Prostatakrebsrisiko steigern
Oxidativer Stress weniger schädlich als gedacht
Antioxidantien fördern möglicherweise Diabetes
Mit Nahrungsergänzungsmitteln höheres Sterberisiko
Es kann ja nun nicht darum gehen, nun im Umkehrschluss die Antioxidantien als Bösewichte hinzustellen.
Aber es ist doch wohl sinnvoll, immer wieder einmal festzuhalten:
Nahrungsergänzungsmittel mit Antioxidantien sind vermutlich in den meisten Fällen einfach zum Fenster hinausgeschmissenes Geld. Man könnte sich etwas Sinnvolleres damit gönnen. Und möglicherweise sind diese Produkte in manchen Bereichen sogar eher schädlich, vor allem wenn man gleich mehrere Präparate kombiniert, was nicht selten vorkommt.
Meine Empfehlung daher: Cool bleiben, wenn die Werbung uns mal wieder einreden will, dass wir nur gesund und jung bleiben können, wenn wir die Präparate X, Y und Z täglich einnehmen.
Und wer unumstösslich überzeugt davon ist, dass er oder sie solche Nahrungsergänzungsmittel braucht, kann zu mindestens die Dosierung halbieren: Schont den Geldbeutel, minimiert das Risiko.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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